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Übersicht Flechtwerkskulptur

Kirchenräume des 1. Jahrtausends waren durch Schranken gegliedert und mit Mobiliar ausgestattet: Altäre, Stühle und Bänke, Sarkophage, Grabaufbauten etc. Nach ihrem Schmuck fasst man diese Inneneinrichtungen unter dem Begriff Flechtwerkskulptur zusammen. Erhalten sind fast ausschliesslich Stücke aus Marmor, Kalk- und Sandstein.

Dank dem ansprechenden Dekor sind Teile dieses Mobiliars von alters her aufbewahrt und z.B. in die Wände der Kirchen und Vorhallen eingebaut worden; zahllose Beispiele finden sich im mediterranen Gebiet. Im originalen Zusammenhang sind sie jedoch kaum mehr anzutreffen.

Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts werden die italienischen Stücke in einem Corpus systematisch gesammelt (Corpus della scultura altomedievale, Spoleto 1959 ff, bisher 18 Bände).

 

Müstair

Mit den planmässigen Ausgrabungen in Müstair seit Ende der 60er Jahre wurde hier ein Inventar gehoben, das wie die berühmten Wandmalereien in der Kirche, in jeder Hinsicht einmalig ist: 1300 Fragmente, ohne spätere Veränderungen, Datierung mit der Klostergründung um 775 einigermassen gesichert (die Schranken gehören zur Grundausstattung einer Kirche). Seit 1972 werden alle Fragmente nach einer für die Gattung entwickelten Methode gezeichnet und fotografisch dokumentiert.

In einem Forschungsprojekt unter der Leitung von HR. Sennhauser wurden seit 2005 die Fragmente in einem ersten Schritt zu ca. 260 Werkstücken (Platten, Pfosten, Balken, Bögen, Kapitelle etc) zusammengesetzt und wissenschaftlich katalogisiert.

Müstair, Depot.
Müstair, Depot.
Arbeitsplatz für die Flechtwerkskulptur

 

Die Analyse von Massen und die technischen Einzelheiten eines jeden Stückes haben zu ersten Vorschlägen für einzelne Schrankenabschnitte geführt, keine realen Rekonstruktionen, sondern mögliche Varianten; das Material ist zu stark fragmentiert.

Müstair Kloster St. Johann
Müstair Kloster St. Johann
Vorschläge für Schrankenrekonstruktionen

 

Die historische und kunstgeschichtliche Würdigung des Müstairer Inventars bedingt eine Aufnahme des gesamten Flechtwerkinventars aus Rätien (St. Gallen, Graubünden, Vinschgau), der die hervorragenden Kapitelle und Flechtwerkreste aus dem Kloster in St. Gallen angeschlossen werden.

 

Chur

Die in Altären der Churer Kathedrale verbauten Stücke und Neufunde wurden nach dem für Müstair verwendetem System katalogisiert und gezeichnet.

Chur Kathedrale

 

Schänis

Auf Schweizer Gebiet sind seit dem frühen 20. Jahrhundert neben einigen Fragmenten aus dem Kloster St. Johann in Müstair und Stücken in der Kathedrale von Chur zwei intakte Platten und zwei Pfosten aus dem ehemaligen Frauenkloster in Schänis aus den Jahren um 820 bekannt.

Zwei intakte Platten und Pfosten aus dem ehemaligen Frauenkloster in Schänis aus den Jahren um 820.
Schänis, ehemaliges Frauenkloster

 

Vinschgau

Der Vinschgau ist Teil des churrätischen Hoheitsgebietes; hier befinden sich die Marmor-Steinbrüche (Laas), aus denen das Material der grossen karolingischen Kirchenausstattungen stammt: Müstair, Chur, Schänis. Im Vinschgau selber sticht die kostbar ausgestaltete Kapelle St. Benedikt in Mals mit ihrer aufwendigen Schrankenanlage hervor. Sie dürfte etwas jünger als jene in der Klosterkirche von Müstair sein.

Mals St. Benedikt
Mals St. Benedikt

 

Weitere Ensembles

Im Verlauf der Jahre ist auf ausgedehnten Studienfahrten ein reiches fotografisches Vergleichsmaterial aus dem mediterranen Bereich, aus Österreich, Deutschland und Frankreich gesammelt worden, das die Voraussetzung für die stilistische und chronologische Einordnung bildet. Zentrale Fragen sind: Herkunft der Steinmetze, Organisation der Handwerksbetriebe, Motivgeschichte, Verbindung/Verhältnis zu anderen Materialien.

Die Resultate (Publikationen), welche die Bearbeitung des rätischen Materials bereits erbracht hat, verpflichten zur Weiterarbeit.

 

 

St. Gallen

Aus den Grabungen HR. Sennhausers in der ehemaligen Klosterkirche, der heutigen Kathedrale, stammt ein einzigartiges Ensemble von Kapitellen aus karolingischer Zeit. Ihr grosses Format schliesst engere Vergleiche mit der zeitgleichen Skulptur aus dem umliegenden Kulturkreis aus. Die St. Galler Kapitelle sind jenen der Grossbauten karolingischer Zentren wie Fulda, Aachen, Lorsch, St. Denis etc an die Seite zu stellen.

St. Gallen Lapidarium
St. Gallen Lapidarium
Kapitelle

 

Ascona

Aus dem Oratorio SS. Fabiano e Sebastiano und seiner Umgebung sind 17 skulpierte Fragmente bekannt. Das stilistisch einheitliche Ensemble dürfte um die Mitte oder in der 2. Hälfte des 9. Jh. entstanden sein. Entgegen einer älteren Meinung gehörten die Werkstücke nicht zu einer Schranke innerhalb der Kapelle, vielmehr war die grosse Platte vermutlich Teil einer Sargkiste, die Säulchen und Kämpferkapitelle standen dagegen in den Fenstern der nachträglich angebauten Vorhalle. Der Dekor dieser Flechtwerkskulpturen weist auf Verbindungen mit Latium/Rom hin. 

Ascona, Oratorio SS. Fabiano e Sebastiano

 

Como

Aus Sant' Abbondio in Como ist ein grosser Bestand von Flechtwerkskulptur aus verschiedenen Phasen der liturgischen Ausstattung erhalten. Ein wesentlicher Teil ist dem reifen 9. Jh. zuzuordnen. Gewisse Schrankenelemente entsprechen stilistisch und motivisch jedoch dem Skulpturendekor, der sich am Bau von Sant' Abbondio II aus dem späteren 11. Jh. findet. Man darf davon ausgehen, dass das liturgische Mobiliar mit der Kirche erneuert wurde. Gemeinsam sind sie ein beredtes Zeugnis für die Tradierung der Flechtwerkmotive bis in romanische Zeit.

Como, Sant' Abbondio

 

Herrenchiemsee

Aus Grabungen von H. Dannheimer und Altbeständen liegen ein Dutzend Fragmente der liturgischen Ausstattung der frühen Klosterkirche auf Herrenchiemsee (Bayern) vor, die Katrin Roth-Rubi zur Publikation übergeben wurden. Stilistische Analysen und Vergleiche deuten darauf, dass es sich um ein frühes Ensemble handelt, das in die 1. Hälfte des 9. Jh. zu datieren ist.

Kloster Herrenchiemsee

 

Windisch

Im Auftrag der Kantonsarchäologie Aargau wurden neun Fragmente aus dem Abbruch des Hauses Schatzmann in Windisch/Oberburg erneut untersucht. Die Dimensionen der vier Säulenbasen, vielleicht von einem Ziborium, zeugen von einem repräsentativen liturgischen Mobiliar. Rudolf Moosbrugger hatte sie 1959 dem Bischofssitz des späteren 6. Jh. zugeordnet. Die Stiluntersuchungen legen dagegen eine Datierung in die 1. Hälfte des 8. Jh. nahe, die Stücke gehörten somit nicht zur Kathedrale der namentlich bekannten Bischöfe von Windisch.

Windisch Oberburg