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Das Basler Münster: Die frühen Kathedralen und der Heinrichsdom

Zusammenfassung der Grabungsergebnisse

Rede von HR. Sennhauser am 16. Oktober 2018, Buchvernissage Basel

Im Jahre 1895 erschien die erste fundierte "Baugeschichte des Basler Münsters". Karl Stehlin hat mit diesem Band, gestützt auf intensive eigene Beobachtung am Bau und auf die Akten der Innen-Erneuerung in den 50er und der Aussenrestaurierung in den 80er Jahren des 19. Jh. ein Grundlagenwerk von bleibendem Wert geschaffen. Er beschreibt und interpretiert das spätromanische Münster und seine Veränderungen bis ins 19. Jh. Den spärlichen Quellen und Andeutungen über frühere Münster steht Stehlin skeptisch gegenüber, und der Georgsturm ist für ihn nicht der Rest eines Heinrichsmünsters, sondern einfach, wie er sagt, "ohne Zweifel... der Überrest einer frühern Kirchenanlage" (Abb. 1).

Abb. 1: Der Georgsturm nach Stehlin
Abb. 2: Hochmittelalterliche Bischofsgräber (violett), von Stückelberg 1907 entdeckt

Über den ottonischen Heinrichsdom, den karolingischen Vorgänger und noch ältere Kathedralen konnten zu Stehlins Zeiten und vor den Ausgrabungen im letzten Jahrhundert tatsächlich nur Vermutungen geäussert werden. Das 20. Jh. hat aber, nicht zuletzt angeregt durch Stehlins Fragen, auch den materiellen Geschichtszeugen unter dem Fussboden Respekt entgegengebracht. Nachdem Ernst Alfred Stückelberg 1907 bei Arbeiten an den Heizkanälen in der Hinteren Krypta drei hochmittelalterliche Bischofsgräber entdeckte (Abb. 2), wurden 1913 und später wieder Beobachtungen an den Fundamenten und Mauerresten vor dem Münstereingang gemacht.

1947 grub Rudolf Laur-Belart die Aussenkrypta auf der Pfalz aus, und im Zusammenhang mit der Innenrestaurierung der sechziger und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts konnte das Münsterinnere archäologisch flächig untersucht werden: 1966 Chor, Krypta und Querschiff, 1973/74 das Langhaus (Abb. 3).

Abb. 3: Grabungsetappen

Die Ergebnisse dieser Grabungskampagnen sind bisher in drei grossen Gruppen bearbeitet worden: die spätkeltische und frührömische Epoche hat Andres Furger-Gunti 1979 veröffentlicht, und seine Studien zur römischen und frühmittelalterlichen Zeit sind im Internet greifbar. Ein Band von Christine Ochsner und andern, 2013 herausgegeben von Hans-Rudolf Meier und Peter Andrew-Schwarz, gilt den Grabfunden vom 12. bis 19. Jh., und heute kann nun der Band über die frühen Kathedralen und den Heinrichsdom vorgestellt werden (Abb. 4).

Abb. 4: Veröffentlichungen zu Funden und Befunden im Münster: 1979 und 2013

1975, nach Abschluss der Flächengrabungen in Chor, Querschiff und Langhaus des Münsters, habe ich zusammengefasst, was sich damals als vorläufiges Resultat vorlegen liess. Die intensive Bearbeitung vor allem im letzten Jahrzehnt, in Zusammenarbeit mit Hans Rudolf Courvoisier bis zu seinem Tode im Jahre 2013, sowie während der Dauer der Auswertung mit Alfred Hidber, Eckart Kühne und Werner Peter, hat zu überraschenden neuen Ergebnissen geführt.

Abb. 5: Die karolingische Kathedrale, links überholte Rekonstruktion (1975), rechts Version nach der Bearbeitung der Grabungsdokumentation (2018)

Die karolingische Kathedrale, das Münster des Bischofs Haito, der gleichzeitig Abt im Kloster auf der Insel Reichenau war (763–836), habe ich mir 1975 mit einer breiten Apsis vorgestellt (Abb. 5 links). Die Bearbeitung erwies, dass die Apsis nie bestanden hat, dass vielmehr die reine Rechteckform einem im frühen Mittelalter südlich und nördlich der Alpen mit Vorliebe verwendeten uralten Kathedralentyp entspricht, an dem man offensichtlich während Jahrhunderten pietätvoll festhielt (Abb. 5 rechts, Abb. 6).

Abb. 6: Beispiele von Kathedralen in reiner Reckteckform

Eine Schranke, die sich wie jene im 836 geweihten Gozbertbau der Klosterkirche (der heutigen Kathedrale) von St. Gallen auf Vorbilder in Rom zurückführen lässt, trennte Chor und Laienkirche (Abb. 7 links), und unter dem Chorpodium lag eine einfache Gangkrypta (Abb. 7 rechts).

Abb. 7: Schranke (links), Chorpodium und Krypta (rechts) im Basler Münster und im St. Galler Gozbertbau

An die Westfassade schlossen seitlich zwei Türme an. Sie erinnern an die beiden freistehenden Türme auf dem etwa gleichzeitigen St. Galler Klosterplan und letztlich an das Säulenpaar Jachim und Boaz vor dem Salomonischen Tempel (Abb. 8).

Abb. 8: Rundtürme auf dem St. Galler Klosterplan (rechts) und Rekonstruktion des Salomonischen Tempels mit den Säulen Jachim und Boaz (links)

Die Schichtenfolge zeigt, dass nach dem Haitomünster und unabhängig davon gegen den Rhein hin ein Bauwerk entstand, das von Hans Reinhardt als Rest einer Aussenkrypta erkannt und von Rudolf Moosbrugger richtig rekonstruiert wurde (Abb. 9).

Abb. 9: Aussenkrypta, Plan und Rekonstruktion nach Moosbrugger

Aussenkrypten sind meist nachträglich an ein Kirchenchor angebaute, gelegentlich leicht in die Erde eingetiefte Räume, die im Einbahnverkehr um das Chor herum zugänglich waren (Abb. 10). In der Regel dienten sie zur Aufbewahrung eines Heiligen- oder Reliquiengrabes und als Bestattungsraum ad sanctum– in der Nähe des Heiltums bzw. des Heiligen, auf dessen Fürsprache die hier Bestatteten hofften.

Abb. 10: Beispiele von Aussenkrypten

Die Basler Aussenkrypta stammt aus dem späten 9. oder aus dem frühen 10. Jh. Nichts spricht dagegen, dass sie für jenen Bischof Ruodolfus a paganis occisus, den Bischof Rudolf, von den Heiden getötet, errichtet wurde, der offenbar beim Ungarneinfall 917/18 und nach den Anschauungen der Zeit als Märtyrer starb (Abb. 11).

Abb. 11: Sarkophag des Bischofs Ruodolfus und Inschrift auf der Deckelplatte

Die von der Basler Aussenkrypta vorausgesetzte Kirche wurde bei der Einrichtung der tief in den Boden eingreifenden romanischen Krypten bis auf einen winzigen Bodenrest beseitigt. Diese verlorene Kirche kann nur in den grossen Zügen rekonstruiert werden: sie muss im Osten so breit gewesen sein, dass die Zugangskorridore der Aussenkrypta anschliessen konnten, und ihre Mindestlänge ist durch den zugehörigen kleinen Bodenrest definiert. Ich habe sie hypothetisch in der Art eines seit dem 5./6. Jh. mehrfach nachgewiesenen Typs rekonstruiert (Abb. 12)

Abb. 12: Die verlorene Kirche, hypothetischer Grundriss

Diese Kirche muss vorkarolingisch sein, älter als die Aussenkrypta, älter sogar als das Haitomünster, das ihretwegen im Westen über die seit römischer Zeit benutzte Strasse hin ausweichen musste (Abb. 13). Genauer datieren lässt sich diese verlorene Kirche nicht; sie kann bis ins 5. Jh. zurückreichen. Fest steht, dass Basel bereits in vorkarolingischer Zeit an der Stelle des Münsters eine Kirche besass. Ob diese verlorene Kirche mit den Anfängen des Bistums Basel zu verknüpfen ist, bleibt aber offen.

Abb. 13: Römische Strasse und Haitomünster (rot)

Aussenkrypta und Ostkirche wurden abgebrochen, als nach dem Jahre 1000 der ottonische Heinrichsbau entstand; sie machten dem neuen Chor mit den Krypten und ihrem Umgang Platz. Grabung, Bauuntersuchung, schriftliche und Bildquellen haben es ermöglicht, Grundriss und Aufriss des Heinrichsmünsters zu rekonstruieren. Es ist in drei Etappen gebaut worden (Abb. 14): In der ersten entstand im Osten des karolingischen Haitomünsters (rot) die neue Chorpartie (orange) mit tief gestelzter Apsis, begleitet von Türmen und über der Krypta erhöhter Chorplattform. 

Abb. 14: Die drei Bauetappen des ottonischen Münsters

Auch der heutige Krypta-Umgang muss schon einen Vorgänger im Heinrichsmünster gehabt haben, denn der Marienaltar in der zentralen Hauptnische, den Bischof Lütold I. von Aarburg (1191–1213) nach der Weiheinschrift im Jahre 1202 weihte, ersetzte im noch bestehenden romanischen Umgang den von Bischof Adalbero II. 1019 geweihten Marienaltar im Umgang des Heinrichsmünsters. Das ist die Aussage des Weihebildes mit den zwei Bischofsporträts, dessen Reste im Umgang noch zu sehen sind (Abb. 15, Abb. 20). 

Abb. 15: Inschrift des Weihebildes mit den Bischöfen Adalbero II und Lütold I, Rekonstruktion der Situation beim Marienaltar im Umgang der Krypta

Die zweite Bauetappe brachte Vierung, Querschiff und Erneuerung des Langhauses. In der Vierung setzte sich das erhöhte Chorpodium über einer fünfschiffigen Krypta fort. In der dritten Etappe, gegen das Jahrhundertende, unter Bischof Burkhard (1072–1107), wurde das Turmpaar ersetzt (Abb. 14, gelb); aus dieser Zeit stammen die unteren Geschosse des Georgsturmes. An dessen Innenwand haben sich Türe und Negative einer Wandvorlage und des Gewölbeansatzes erhalten; es sind Zeugen einer hochgelegenen Emporenkapelle zwischen Georgsturm und einem verlorenen Vorgänger des Martinsturmes (Abb. 16).

Abb. 16: Georgsturm mit Emporentüre, Negativen einer Wandvorlage und Gewölbeansatz

Klar erwies es sich, dass die ottonische Krypta, zum Teil neu ummauert, in den romanischen Bau übernommen wurde. Ihr ursprüngliches, ottonisches Gewölbe stürzte samt dem Hochaltar erst beim Erdbeben von 1356 ein (Abb. 17). Der wiedererstellte Hochaltar auf dem Gewölbe konnte 1363 geweiht werden.

Abb. 17: Schnitt durch die Hintere Krypta, 1. Phase ottonisch, 2. Phase romanisch, neue Mauern (grün), 3. Phase nach 1356, neues Gewölbe (ottonische Gewölbereste orange)

Der Chronist Nikolaus Gerung gen. Blauenstein (gestorben 1478) sagt ausdrücklich, es sei nach der Wiederherstellung nur der Hochaltar, nicht die ganze Kirche geweiht worden, consecratione ecclesiae permanente. Rudolf Wackernagel, der auf diese Stelle aufmerksam gemacht hat, übersetzt: "denn die Weihe von 1019 durch Bischof Adalbero blieb in Kraft." Neu gebaute Kirchen und neue Altäre brauchen eine kirchliche Weihe. Das heisst: wo keine Weihe, da kein Neubau. Kirchenrechtlich und nach der Anschauung der Zeit auch materiell war das Münster also nach dem Erdbeben von 1356 noch immer das alte, von Kaiser Heinrich II. und Bischof Adalbero II. errichtete Heinrichsmünster, denn die Weihe von 1019 blieb in Kraft. Das heisst aber auch, dass das romanische Münster aus der Zeit um 1200 nicht als Neubau empfunden wurde, sondern immer noch als der alte Heinrichsdom in neuem Gewand. Tatsächlich steht das Münster mit allen Teilen auf dem Grundriss des ottonischen Heinrichsbaues, dessen Aufriss im Romanischen weiter lebt (Abb. 18).

Abb. 18: Grundrissreste früher Münster: um 800 (Haito, rot), um 1000/1080 (Heinrichsmünster, orange/gelb), um 1200 (Lütold, konturiert, die äusseren Seitenschiffe gotisch)

Das Baumeisterrelief betont die Kontinuität, indem sich dort der Baumeister des Adalbero-Heinrichsmünsters um 1000 im Rahmen des doppeltürmigen Münsters mit dem Architekten des Bischofs Lütold um 1200 bespricht (Abb. 19).

Abb. 19: Baumeisterrelief im Münster

Auch die Darstellung der beiden Bischöfe beim Marienaltar in der Krypta hebt das Weiterleben des Heinrichsmünsters hervor, denn Lütold steht dort seinem Vorgänger Adalbero gegenüber, dem Erbauer des Heinrichsmünsters (Abb. 15, Abb. 20).

Abb. 20: Die Bischöfe Lütold I (links) und Adalbero II (rechts) beim Marienaltar in der Krypta

Im Hinblick auf das Jubiläum des kommenden Jahres heisst das: im Sinne des Mittelalters feiern wir nicht einfach eine Jahreszahl, sondern den im romanisch erneuerten Gewand immer noch weiter bestehenden Heinrichsbau.

Und nun ein Wort zum Buch: Karl Stehlin stellt die Baugeschichte des romanischen Münsters und der folgenden Jahrhunderte bis ins Ende des 19. Jh. dar. Der vorliegende Band im Format des Buches von Stehlin, bietet die Ergänzung für die frühen Kathedralen und für den Heinrichsdom, eine Ergänzung, die erst nach den archäologischen Untersuchungen des 20. Jh. möglich wurde. Es geht darin um die Münster der bischöflichen Zeit Basels, daher auch die bischöfliche Purpurfarbe des Bucheinbandes.

Zum Schluss: es ist mir ein Anliegen, allen zu danken, die Anteil haben am Entstehen und an der Edition des Buches; ihre Namen einzeln zu nennen, würde zu weit führen, aber ich versichere alle, die mir fachlich und finanziell zur Seite standen, meiner grossen Dankbarkeit. Die Publikation hat eine lange Genese, aber „gut Ding will Weile haben“, und als Präsent für Basel zum 1000-Jahr-Jubiläum der letzten Münsterweihe im kommenden Jahr erscheint der Band zur rechten Zeit.